
15. Etappe auf dem K1
Start: Rifugio Bellavista
Ziel: Schlanders
Es ist ein herrlicher morgen am Rifugio Bellavista. Der Regen hat sich verzogen, der Himmel ist blau, die Luft ist kalt und klar bei frostigen - 3°C. Lediglich der Wind hat no h nicht abgenommen. Dieser hat mich auch die Nacht ziemlich wachgehalten, es pfiff ganz ordentlich oben im Lager unterm Dach. Zudem ist die 8-köpfige Hochtourengruppe um 3.45 Uhr aufgestanden, um auf die Weißkugel zu gehen - eine insgesamt unruhige Nacht. Und das vor der längsten Etappe des gesamten K1, die mich heute bis nach Schlanders in den Vinschgau führen soll. Ich frühstücke um 6.00 Uhr und unterhalte mich noch länger mit den beiden Wirtsleuten, um 6.45 Uhr breche ich auf.

Es ist wahnsinnig kalt und der Wind lässt die Temperaturen auf gefühlt - 10°C sinken. Ich habe alles an was ich im Rucksack habe und versuche, möglichst schnell die 1,5 Stunden bis Kurzras abzusteigen, wo die Sonne scheinen sollte. Der Weg ist zu Beginn noch etwas felsig und steil, läuft dann aber weitgehend unproblematisch den Hang entlang. So komme ich zügig vorwärts.

Ein erster Wanderer kommt mir etwa auf der Hälfte der Strecke entgegen, dieser hat den Wind voll im Gesicht und hat merklich zu kämpfen. Mir drückt der Wind in den Rücken und das ist schon unfassbar kalt.
Ich durchschreite einen kleinen Steinweg und erreiche dann bald den Wald auf ca. 2.400m Höhe.


Der Wind lässt jetzt etwas nach und ich tauche in den Wald ein. Dieser wird zunehmend dichter und nach einer guten Stunde kommt Kurzras, der letzte Ort im Schnalstal in Sicht.

Ich erreiche Kurzras und halte mich am Ortseingang rechts. Ich habe nach knapp 1,5 Stunden bereits fast 1.000 Höhenmeter auf der Uhr. Meine Füße machen mir heute allerdings mehr Probleme als sonst und ich komme in Zweifel, ob die Etappe für mich machbar ist. Immerhin geht es jetzt nochmal 700 Höhenmeter hoch und dann nochmal 1.900 Höhenmeter runter! Ich überquere eine Brücke und halte mich weiter rechts bis zum Waldrand. Bis ich vor einem Zaun stehe, der meinen weiteren Weg versperrt. "Weg gesperrt" lautet die einfache aber folgenschwere Botschaft auf den Schildern. Ich zögere kurz, kann ich mir doch gerade heute keinen Umweg erlauben und steige dann über die Absperrung.
Der Weg führt ohne erkennbare Einschränkungen in den Wald hinauf. Nach 5 Minuten stehe ich allerdings vor der Ursache der Wegsperrung: offenbar hat eine Gerölllawine oder ein Sturm große Teile des Waldes flachgelegt. Ein Chaos aus Wurzeln, Bäumen und Steinen zieht den Hang hoch, wo eigentlich der Weg sein sollte. Hier geht es tatsächlich nicht weiter.

Der Blick auf die Karte bietet keine vernünftige Alternative. Da meine Füße ohnehin große Probleme bereiten, entscheide ich mich dafür, die Etappe zu verändern und noch weiter ins Schnalstal Richtung Vernagt abzusteigen. Dies bedeutet allerdings in jedem Fall den Bus nehmen zu müssen, ein ärgerlicher Gedanke.
In Kurzras spreche ich den Parkplatzwärter an, der mir nochmal bestätigt, dass der Weg nicht passierbar ist. Die Alternative kommt für mich aber auch nicht in Frage, da sie einen zu großen Umweg bedeuten würde. Schon ziemlich frustriert nehme ich den Waldweg weiter hinein ins Schnalstal, der Stausee Vernagt ist von hier in gut 2 Stunden erreichbar.

Der Weg ist wirklich sehr schön und mein Ärger verfliegt etwas. Ich laufe über gemütlich Waldwege immer etwas oberhalb des Tals hinunter zum Stausee Vernagt. Die teilweise noch angezuckerten 3.000er begleiten mich auf dem Weg und bilden zusammen mit den blühenden Wiesen und den Tannen das perfekte Alpen Panorama.

Der Weg zieht weiter in den Wald hinein und die Temperaturen steigen. Für mich eines der großen Faszinationen einer Alpenüberquerung, der extreme Wechsel der Perspektiven, Stimmungen und Wetterlagen innerhalb eines Tages. Heute wird mir dies besonders eindrucksvoll geboten: der Start im eisigen Wind und Schnee auf 2.850m, Stunden später 24 Grad, Sonne und Wärme.


Nach insgesamt 3 Stunden erreiche ich den Stausee Vernagt, der wirklich ein tolles Bild abgibt. Blaues Wasser, grüne Tannen, schneebedeckte Berge und ein wunderbarer Wanderweg, der den See an seiner gesamten Südseite passiert. Ist das landschaftlich vielleicht sogar der schönere Weg? Vorteil ist auf jeden Fall, dass hier alle 30 bis 60 Minuten Ortschaften kommen, in denen ich in den Bus steigen kann. Heute hilft weder Kortison noch Schmerzmittel...

Ich erreiche das Ufer und der Weg zieht jetzt für eine halbe Stunde am Südufer des Sees entlang. Es ist ein wunderbarer Weg, der allerdings von vielen Spaziergängern genutzt wird. Leider sind viele auch mit Hund unterwegs, zu denen ich irgendwie ein besonderes Verhältnis habe. Innerhalb der halben Stunde werde ich tatsächlich 3x von Hunden angegangen, einmal sogar ohne Leine, geht gar nicht!!

Vernagt ist erreicht und den nächsten Ort müssen meine Füße auch noch schaffen. Die Ortschaft "Unser Frau" ist mir von meine trip von Oberstdorf nach Meran noch in guter Erinnerung, hier möchte ich gerne nochmal in den kleinen Krämerladen einkaufen gehen. So folge ich weiter dem Waldweg, der tiefer hinein ins Schnalstal führt.


Der Ortschaft kommt in Sicht, ich folge noch einige hundert Meter dem Waldweg, der dann steil hinunter in den Ort führt. Ich steuere den kleinen Läden an, der direkt neben der Dorfkirche liegt. Die ältere Dame ist tatsächlich noch da, wird aber jetzt offenbar von ihrem Sohn unterstützt. Ich kaufe Snacks und Postkarten und setze mich für eine Rast an die Dorfkirche.


Ich könnte jetzt noch weiter im Tal absteigen, bis Katharinenberg oder theoretisch bis Naturns. Das Wetter ist ideal. Allerdings sagen meine Füße nein zu diesen Plänen und eigentlich macht es auch keinen Sinn, diese jetzt durch das lange gelatsche im Tal zu belasten. Ich belasse es bei knapp 17 km und den 1.400 Höhenmeter Abstieg und mache Feierabend für heute.
In den Bus zu steigen gefällt mir dabei überhaupt nicht, 15 Etappen bin ich tatsächlich alles gelaufen, blöd, dass diese Serie jetzt reisst.
Morgen gibt's einen Pausentag in Schlanders und ich hoffe, dass meine Füße dann wieder etwas besser zurecht sind!
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Sergio (Donnerstag, 06 August 2020 17:00)
lieber philipp, wie haben gestern abend von deinem großartigen projekt gehört und gleich mal in deinem blog gelesen. deine wanderung ist schon jenseits der gesundheitlichen beeinträchtigungen mehr als beeindruckend für uns. vielleicht bereichern die schmerzenden füße und die planänderungen die ergänzende und parallele wanderung in die inneren gipfel und täler.
erhole dich gut und genieße dich, deine leistung und die wunderbare bergwelt weiterhin so eindrucksvoll. mit herzlichen grüßen. sergio
Brigitte (Sonntag, 09 August 2020 16:44)
Lieber Philipp, ich bin soooo begeistert von deinen Leistungen und kann mir kaum vorstellen, wie ein Körper aus unseren Breitengraden das aushält.