
22. Etappe auf dem K1
Start: Rifugio Garibaldi
Ziel: Rifugio Serafino Gnutti
Heute steht der Übergang über den berüchtigten Passo Cristallo an, zumindest dann, wenn ich den kürzesten Weg zum Rifugio Gnutti nehmen möchte. Allerdings habe ich heute morgen erstmal ein ganz anderes Problem: das Wetter ist umgeschlagen, es regnet in strömen, zwischendurch durchbrechen Blitz und Donner den wolkenverhangenen Himmel. Kein Wetter, um zu einer 6-stündigen Etappe und der Überschreitung eines fast 3.000m hohen Passes aufzubrechen. Der Blick auf den Wetterbericht verspricht keine Besserung. Im Gegenteil, heute ist sogar noch der bessere Tag, morgen soll es eher noch schlimmer werden.
So frühstücke ich in Ruhe und warte dann noch 1,5 Stunden ab und habe tatsächlich Glück: der Regen lässt nach und ich breche zu einem Versuch auf. Ob der Passo Cristallo bei dem Wetter machbar ist?

Ich quere den See über einen befestigten Damm, ab hier wird der Weg direkt felsig und steiler. Ich bin wirklich gespannt, was mich heute erwartet und ob das Wetter hält, bei Regen wird der Übergang sicherlich ungemütlich bzw. sogar heikel. Im Moment ist es aber trocken und lediglich etwas windig, sodass ich dick eingepackt unterwegs bin und sogar mal meine Handschuhe tragen kann.


Die gesamten Adamello und Presanella Region ist bekannt für viel Blockwerk, Schutt und unwegsames Gelände. Dies wird mir bei der heutigen Etappe auch sehr deutlich. Es gibt quasi keinen Weg oder Pfad, es geht weglos meist über Blockwerk voran. Ein mühsames Gelände, auf dem das Vorwärtskommen nur langsam möglich ist.

Es klart jetzt deutlich auf und ich habe langsam Hoffnung, vielleicht doch den Passo Cristallo begehen zu können. Diese Stelle traue ich mir wirklich nur bei guten Bedingungen zu und müsste im Notfall einen deutlich längeren Weg gehen oder die Etappe abbrechen. Zum Glück wird der Himmel allerdings wesentlich heller!

Mein nächstes Ziel ist der Lago Panton, der bereits in Sicht kommt. Ich erreiche einige verlassene Gebäude, die ich hier oben tatsächlich nicht erwartet habe. Ich laufe durch diese kleine Geisterstadt und erreiche einen Damm, über den es jetzt auf die andere Seite des Sees hinüber geht.


Nach der Überquerung des Damms halte ich mich links, bis der Weg kurz darauf rechts im Hang hinauf zieht. Hier stehen jetzt wieder einige Höhenmeter Aufstieg bis zur Scharte unterhalb der Corno Premassone an. Auch hier erwartet mich undurchsichtiges und schwieriges Terrain, zunächst im steilen Grasgelände, dann zunehmend steiniger und blockiger.


Das Gelände wird zunehmend steiler und anspruchsvoller, immer wieder sind kraxeleien über große Felsen gefragt. Ein mühsames, anstrengendes Gelände in dem ich jetzt nur schleppend vorwärts komme. Der Weg ist schon klar markiert allerdings ziemlich kraftraubend. Und mit Blick nach oben ist auch noch kein Ende in Sicht...


Es ist eine der anstrengensten Etappe, das kann ich jetzt bereits sagen. Und der eigentliche Übergang über den Passo Cristallo kommt ja erst noch. Zumindest das Wetter spielt jetzt mit und ich bin einfach nur erleichtert, bei Regen wäre diese Etappe definitiv grenzwertig. So steige ich höher und höher und erreiche jetzt einiges versicherte Passagen, in denen es nochmal steiler über Absätze hinauf geht.

Ich erreiche eine glatte Wand, die jetzt über Seilsicherungen gequert wird und stehe dann vorerst am höchsten Punkt, der Scharte unterhalb der Cima Plem. In meinen Planungen hatte ich die Besteigung der 3.179m Cima mal in Betracht gezogen, aus jetziger Sicht eine absurde Idee, auch bei mittlerweile guten Bedingungen. Ich bin froh, wenn ich diese recht anspruchsvolle Etappe gut bewältigt kriege und steige nach kurzer Rast in den Talkessel hinunter.


Der nächste Übergang am Passo Cristallo ist verdeckt bereits in Sicht, allerdings muss hierfür zunächst wieder knapp 200 Höhenmeter Abstieg bis hinunter zum kleinen Lago Premassone erfolgen - natürlich über Blockwerk. Normalerweise eine Sache von vielleicht 15 Minuten, in diesem Gelände brauche ich satte 45 Minuten, bevor ich den Abzweig zum Passo Cristallo erreiche. Hier muss ich mich jetzt entscheiden: ein weiterer Abstieg zum Rifugio Tonollino und dann in einer längeren Traverse hoch zum Rifugio Gnutti, oder der wesentlich kürzere aber auch wesentlich anspruchsvollere Weg über den Passo Cristallo. Nach kurzem zögern entscheide ich mich für den schwierigen Weg über den Passo, das Wetter scheint zu halten und so bin ich - falls alles klappt - schneller am Ziel.



Es gibt hier nicht viel neues zu berichten, das Gelände bleibt blockig, ist aber weitgehend gut markiert. Unterhalb der Scharte steilt der Weg aber nochmal auf, hier werden gleich die ersten Klettereien beginnen.

Es folgt die Schlüsselstelle am heutigen Tag und sicherlich auch auf dem gesamten K1: eine 8 bis 10m hohe Wand muss erklettert werden. Die Kette hilft dabei wenig, allerdings sind die Felsen fest und es finden sich ausreichend Griffe und Tritte. Dennoch unterm Strich für mich eine Herausforderung, vor allem mit dem großen Rucksack. Letztlich ist die Stelle aber fix überwunden und der Passo Cristallo damit bezwungen!


Ich genieße die Aussicht am Passo Cristallo und raste für einen Moment. Hier oben ist jetzt der höchste Punkt auf 2.900m für heute erreicht, es folgt ein Abstieg über weitere knapp 700 Höhenmeter bis zur Hütte. Das Wetter spielt nach wie vor mit und ich bin guter Dinge, die Hütte tatsächlich trocken zu erreichen!

Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: der Abstieg erfolgt über Blockgelände 😄 Allerdings flacht das Gelände nach kurzer Zeit etwas ab und nach etwa 150 Höhenmeter geht der Weg wieder im Wiesengelände weiter. Teilweise sind sogar erdigen Pfadspuren zu finden, denen ich jetzt talwärts folge.



Der Lago Miller kommt in Sicht und kündigt das Ende der Etappe an. Ich bin durchaus beansprucht vom heutigen Tage. Vor allem am Morgen war es aufgrund der Wetterlage nervenaufreibend, im weiteren Verlauf in erster Linie ansprechend und am Passo Cristallo auch technisch anspruchsvoll. Mit den letzten Höhenmetern Abstieg erreiche ich einen breiten Steg, der mich jetzt für die letzten 800m zur Hütte führt.



Ich erreiche mein Tagesziel und habe mir jetzt den morgigen Pausentag verdient. Ich werde sehr freundlich begrüßt, die Verständigung auf Englisch funktioniert gut. Ich lasse den Nachmittag in der Sonne am See bei Kaffee und Kuchen ausklingen und freue mich auf einen Tag Pause!


Kommentar schreiben