
3. Etappe auf der Virgenrunde
Start: Bonn-Matreier-Hütte (2.750m)
Ziel: Eisseehütte (über Seewandspitze (3.024m) und Weißspitze (3.300m)
Die Wetterprognose für heute war bescheiden und der morgendliche Blick aus dem Fenster verspricht leider auch nichts anderes. Trübe Stimmung und wolkenverhangener Himmel, zumindest ist es noch trocken. Heute steht der längste Tag der gesamten Tour auf dem Programm und zudem mit der Weißspitze ein hoher 3.000er, den wir lieber bei halbwegs brauchbaren Bedingungen angehen würden...
Nach einem tollen Frühstück brechen wir zeitig auf und stellen fest, dass es in den fünf Minuten zwischen letztem Wettercheck und dem obligatorischen Schuhe anziehen und Marschbereit machen angefangen hat zu regnen. So heisst es direkt Regenjacke an, den Rucksack hatten wir vorsorglich eh bereits mit Regenhülle versehen. Im Regen morgens zu starten ist nicht etwas, was die Stimmung sonderlich hebt, wir stapfen dick eingepackt los und steigen zunächst wieder ein kleines Stück unterhalb des Säulkopf ab, bevor der Weg dann über eine kleine Scharte am sogenannten Eselrücken den gegenüber liegenden Felsriegel passiert.

Den Regen kann man ohne weiteres als ergiebig bezeichnen. Bereits nach kurzer Zeit sind die Wege mit tiefen Pfützen versehen. Max hat sich trotz Regen und Kälte für die kurze Hose entschieden, eine gute Wahl. Meine leichte Sommerhose klebt mir bereits völlig durchnässt an den Beinen. Wir steuern auf den Eselrücken zu, in dem es in engen Kehren hinauf auf die Scharte geht.

Wir halten uns bei dem Wetter nicht lange auf und steigen zügig über einen schmalen Pfad hinauf. Auf der Scharte geht ein scharfer Wind, sodass wir nur eine kurze Trinkpause machen und dann in die erste längere Traverse einsteigen.

Wir steigen jetzt in eine längeren Traverse ohne große Steigungen ein, die weit oberhalb des Virgentals am Hang entlang führt. Bei guter Sicht wäre der Ausblick ins Tal und auf die gegenüber liegenden Lasörlinggruppe sicher überragend, wir blicken allerdings lediglich auf den wolkenverhangenen Himmel. Zumindest ist der Weg jetzt gut zu gehen und wir steigern nochmal das Tempo.

In unserem Rücken grollt jetzt der Donner, es scheint auch noch Gewitter hinter uns aufzuziehen. Der Himmel vor uns sieht heller und freundlicher aus, auch wenn wir nach wie vor im Regen laufen. Noch ist es ein gutes Stück bis zur Eisseehütte, die tief in einem langen Geländeeinschnitts liegt.

Wir erreichen den tiefen Geländeeinschnitt und biegen markant rechts ab. Hier ist unser heutiges Tagesziel bereits in Sicht. Die Eisseehütte liegt traumhaft am Ende des Talschluss wie auf einem Balkon. Noch ist aber ein ganzes Stück zu gehen. Zumindest hat es aufgehört zu regnen und vor uns zeigen sich die ersten blauen Flecken am Himmel. Wird es jetzt doch noch ein schöner Tag? Mit Blick auf die beiden noch geplanten 3.000er käme uns das ganz gelegen...

Der Himmel klart immer weiter auf und wir erreichen die Hütte tatsächlich bei Sonnenschein. Völlig durchnässt sind wir allerdings trotzdem, von den knapp 3 Stunden, die wir bis hierher gebraucht haben, hat es mehr als 2 Stunden geregnet...
Wir entledigen uns der nassen Sachen und hängen diese zum trocknen auf der Terrasse der Hütte auf. Bei einem Drink und einer Gulaschsuppe sammeln wir neue Kraft und die Sonne bringt auch die Motivation für die noch anstehenden Gipfel zurück!

Wir deponieren unser Gepäck im Trockenraum und packen einen kleinen Tagesrucksack. Die runde über Seewandspitze und Weißspitze wird gute 5 Stunden dauern, wir nehmen daher ausreichend Verpflegung mit. Im T-Shirt starten wir in den zweiten Teil des Tages und genießen die Sonne, die wir heute morgen so vermisst haben. Erstes Ziel ist der Eissee, der gut 250 Höhenmeter oberhalb der Hütte liegt und der Seewandspitze ihren Namen verleiht.

Der See ist fix erreicht und alleine schon den Aufstieg wert. Kristallklares Wasser und die steilen Wände der Seewandspitze bilden ein tolles Panorama. Wir genießen die Aussicht und rasten kurz, bevor wir in einer längeren Rechtskurve die Seewandspitze fast umrunden, der Aufstieg erfolgt über die dem See abgeneigte Seite, wo sich das Gelände wesentlich flacher präsentiert.

Dieser Teil ist jetzt recht beschwerlich, über eine Geröllhalde steigen wir über Felsen in teilweise doch recht steilen Gelände bergauf. Der Gipfel ist aber mittlerweile nicht mehr weit entfernt, wir haben bereits eine Höhe von 2.900m erreicht.

Der Weg zieht nochmal kurz steil an, bevor sich das Gelände merklich zurück lehnt und wir eine größere Ebene erreichen, die wir so hier oben nicht erwartet hätten. Hier geht es jetzt nur noch leicht steigend bergan, bevor wir den Gipfel und das kleine Gipfelkreuz erreichen, was erst sehr spät zwischen den Felsen sichtbar wird. Der erste Gipfel ist erreicht!


Nach den Strapazen heute morgen im Regen ist das jetzt eine Wohltat und verdienter Lohn. Wir machen eine kurze Rast und genießen die Aussicht. Allzu lange Zeit nehmen wir uns aber nicht, es soll ja mit der 3.300m hohen Weißspitze noch ein weiterer Gipfel folgen. Und dieser wird es uns nicht ganz so einfach machen, wie die relativ zahme Seewandspitze. So begeben wir uns auf der anderen Seite des Gipfelplateaus auf den Abstieg, der uns etwa 100 Höhenmeter hinab Richtung Garaneberkees führt, dem kleinen Gletscher unterhalb der Weißspitze, den es gleich zu passieren gilt. Zunächst aber begeben wir uns in wildes Felsterrain, wo wir über Felsen und gerölldurchsetzte Schneefelder den roten Markierungen Richtung Gletscher folgen.

Herrliche Eindrücke sind das jetzt hier, die Weißspitze ragt schroff aus dem mit Schnee bedeckten Gletscher heraus. Wir sind gespannt auf den weiteren Weg, von hier aus sieht das ganze ziemlich ungemütlich und anspruchsvoll aus. Bald ist der Gletscher erreicht, wir halten uns nah am Fels und nutzen die Stöcke, das Gelände ist doch ziemlich abschüssig...

Der Teil ist steil aber die Schneelage gut, sodass wir bald den Gletscher verlassen und wieder Fels unter den Sohlen haben. Das Gelände oberhalb des Schnees ist bröselig und auch wieder teilweise steil, ein mühsamer Abschnitt, bei dem erneut die Stöcke hält bieten. Die Aussicht wird von Minute zu Minute besser und wir hoffen, dass das Wetter noch eine Weile hält. Mittlerweile ziehen erneut Wolken am Himmel auf.


Wir haben die 3.000er Marke längst überschritten und merken im steilen Fels jetzt auch die Höhe. Die Aussicht spornt uns weiter an, wir erblicken das erste Mal den Großvenediger, der in einigen Tagen auf dem Programm steht. Wir haben den Gipfelgrat erreicht und kraxeln die letzten Meter bis auf den Gipfel, der ebenfalls ein erstaunlich großes Gipfelplateau aufweist.

Auch wenn einige Wolken die Sicht versperren, ist die Aussicht in alle Richtungen überragend! Die weiten Ausläufer der Gletscher am Venediger auf der einen, tief unter uns das Garaneberkees auf der anderen Seite. Das ist schon ein besonderer Gipfelmoment hier oben, den wir in vollen Zügen genießen!


Der Himmel zieht weiter zu und uns trennen noch über 800 Höhenmeter und ein zweistündiger Abstieg von der Hütte. So steigen wir auf dem Aufstiegsweg wieder ab. Auch wenn wir ein zügiges Tempo wählen ist doch zumindest auf den ersten 400 Höhenmetern Vorsicht geboten, die steilen Fels-und Schneepassagen erfordern unsere volle Konzentration, insbesondere mit Blick auf die fast 7 Stunden, die wir bereits unterwegs sind. Auch beim Abstieg ist die Aussicht weiter herrlich, wir steigen jetzt mit permanenten Blick auf den Venediger Richtung Hütte ab.

Die Wetterwechsel in den Alpen können rapide sein, auch heute werden wir wieder Zeuge dieses Phänomens. Ab Gipfel noch teilweise blauer Himmel, 20 Minuten später dunkle Wolken, 45 Minuten später Regen. So werden wir erneut und zum zweiten Mal heute völlig durchnässt. Als nach 1 Stunde Abstieg auch Blitze den dunklen Himmel durchziehen haben wir die Gipfelzone zwar bereits verlassen, aber auch in diesem vermeintlich einfachen Gelände wird uns doch mulmig zumute. Auch wenn wir nicht im Zentrum des Gewitters laufen, welches einige Kilometer entfernt über dem Lasörling tobt, herrscht fast apokalyptische Stimmung und wir sehen zu, zügig die Hütte zu erreichen.

Das ist jetzt ein recht unwürdiges Finale für diesen ansonsten sehr erfolgreichen und großen Bergtag. Wir hasten talwärts, der Weg zieht sich wahnsinnig in die Länge. In einem großen Bogen nähern wir uns der Hütte von der anderen Seite, was die Dauer dieses Übergangs erklärt. Oberhalb der Hütte verlassen wir die felsigen Regionen und laufen am Ende über einen sandigen Boden, der stark an eine Wanderung im Wattenmeer erinnert. Durch den Regen stehen hier weite Teile des "Watts" unter Wasser, sodass beinah Gummistiefel die bessere Wahl wären. Wir passieren ein letztes Schneefeld, biegen scharf links ab und erblicken vor uns endlich die Hütte, während der Regen jetzt an Stärke verliert.



Es sind genau diese Tage, die in Erinnerung bleiben, die für mich die Faszination in den Bergen ausmachen. Lange und intensive Tage wie heute, die mich an meine Grenzen führen und diese dadurch immer weiter verschieben. Es war konditionell anstrengend, technisch anspruchsvoll, mental fordernd. Es war ein Tag, der uns erschöpft aber sehr zufrieden gemacht hat!


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