
6. Etappe auf der Virgenrunde
Start: Defreggerhaus (2.962m)
Ziel: Defreggerhaus über Venedigerkrone
Königsetappe! Heute steht sicherlich das Highlight unseres zweiwöchigen Trekkings im Virgental auf dem Programm. Bei der Hochtour über die Venedigerkrone wollen wir heute 5 große Gipfel erreichen, der Großvenediger ist mit 3.666m dann das I-Tüpfelchen auf dieser großartigen Runde. Nachdem wir die letzten Tage oft schlechtes Wetter hatten, ist für heute alles für einen perfekten Tag angerichtet: stahlblauer Himmel bereits am frühen Morgen am Defreggerhaus, die Sicht soll heute ungetrübt sein. So nehmen wir um 5.00 Uhr ein schnelles Frühstück ein und sind bereits um 5.45 Uhr die ersten auf dem Weg. Bergführer und Hüttenwirt Peter schlägt ein gemütliches Tempo an und so laufen wir in kleinen Schritten über den ersten felsigen Aufschwung, der uns in 30 Minuten zum Gletscher und Anseilpunkt führen wird. Die Stimmung ist gut, wenn auch etwas angespannt, eine Hochtour ist doch immer etwas besonderes für mich...

Unter uns tauchen die weiten Ausläufer des Gletschern in unserem Blickfeld auf und einer unserer heutigen Ziele, das Rainerhorn (3.559m), dominiert die Szenerie. Wie ein felsiger Schiffsbug ragt der steile Felsaufbau aus dem Gletscher hervor. Ein gewaltiger Anblick und ein tolles Gefühl zu wissen, das wir auch diesen Gipfel heute mit aufs Programm nehmen. Wie auch immer wir da oben hoch kommen wollen...
Nach 30 Minuten erreichen wir den Gletscher, auf den wir über eine mit Ketten gesicherte Steilstufe etwas hinunter kraxeln müssen. Die ersten hundert Meter folgen wir der Spur auf dem Gletscher bis Peter einen Platz gefunden hat, an dem wir jetzt die Steigeisen anlegen und uns mit dem Seil verbinden. Vermutlich werden wir den ausgetretenen Pfade auf dem Eis, der offenbar direkt zum Großvenediger führt, gleich rechter Hand verlassen. Zunächst steht nämlich die Besteigung der Schwarzen Wand und des Hohen Zauns auf dem Programm.

Tatsächlich verlassen wir bald darauf die Spur und der Weg führt nun etwas steiler Richtung Hoher Zaun (3.457m), unserem ersten Gipfel für heute. Dieser ist leicht zu erreichen, besonders bei diesen Verhältnissen. Es ist heute eher eine Schneewanderung, auch wenn hier Richtung Hoher Zaun keine Spuren erkennbar sind. Die Schneeauflage ist aktuell noch sehr groß, sodass wir vermutlich nicht viele Spalten zu Gesicht bekommen heute. Der Gipfel ist auch bald erreicht und ist als solcher kaum zu erkennen. Einige Felsbrocken ragen aus dem Eis heraus, ein Kreuz gibt es nicht. Wir machen nur eine kurze Rast und haben jetzt einen schönen Blick auf die nächste Herausforderung - den Übergang auf die benachbarte Schwarze Wand.

Während wir den Aufstieg zum Hohen Zaun noch im Schatten bewältigten, kommt jetzt die Sonne heraus und es wird deutlich, warum Peter uns mehrmals an die Sonnenbrille erinnerte. Hier auf den weiten Gletscherflächen reflektiert die Sonne extrem und ohne entsprechende Brille wären wir quasi blind. Wir genießen die wärmenden Strahlen, steigen leicht in eine Senke hinab bevor der Weg wieder Richtung Hoher Zaun aufsteilt. Wir steigen weitgehend über den Gletscher hinauf und wechseln erst recht spät in den Fels, wo wir die letzten Höhenmeter bis zum höchsten Punkt überwinden. Auf der Schwarzen Wand (3.506m) ist ebenfalls kein Kreuz, allerdings eine herrliche Aussicht auf den Großvenediger, dessen Gipfel sich jetzt einige Seilschaften über den Normalweg nähern. Wir rasten eine Weile und ich blicke immer wieder gespannt rüber zum Rainerhorn, dem nächsten Gipfel unserer Tour. Dieser hat es mir tatsächlich sehr angetan, kühn ragt der Gipfel aus dem Eis hervor und wir haben jetzt von hier einen Blick auf die Aufstiegsroute. Diese führt in einer recht steilen Eisflanke bis kurz interhalb des Gipfels, auch hier werden wohl wieder nur kurze Abschnitte im Fels zu bewältigen sein.


Die Landschaft ist einfach nur atemberaubend, wir steigen kurz über Fels und dann wieder auf dem Gletscher Richtung Rainerhorn in eine Senke hinunter, bevor der steile Aufstieg beginnt. Der Großvenediger zeigt sich heute in seiner vollen Pracht als bis auf den Gipfel hochvergletscherte Eisfläche, die Sonne scheint aus wolkenlosem Himmel, es ist ein perfekter Tag. Der Aufschwung aufs Rainerhorn ist heute vermutlich der technisch anspruchsvollste Teil, 40° Steigung sind hier im Eis zu bewältigen. Aber wir kommen gut voran, Peter führt uns sicher am Seil und so erreichen wir nach insgesamt 3 Stunden bereits Gipfel Nummer 3 am heutigen Tag - das Rainerhorn auf 3.559m.


Das Rainerhorn ist quasi der Logenplatz für den Blick auf den Großvenediger. Die weiten Gletscherflächen breiten sich unter unseren Füßen aus und wir beobachten die Seilschaften, die sich unter uns auf dem Normalweg der Gipfel des Venediger nähern. So wird aber auch deutlich, dass es von hier aus noch ein gutes Stück zu gehen ist, bis wir die "Weltalte Majestät" erreichen. Zunächst müssen wir wieder ein ganzes Stück absteigen, bevor wir uns dann in den Normalweg einreihen, der uns zum höchsten Punkt der heutigen Tour führen wird.


Der Abstieg über die 40° steile Flanke geht uns gut von der Hand, sodass wir bald den Normalweg zum Großvenediger erreichen. Vor uns sind einige Seilschaften unterwegs und weit oben kommen uns sogar die ersten Gruppen entgegen, die den Gipfel bereits erreicht haben. Am Großvenediger ist man selten alleine und an einem Traumtag wie heute ist es eigentlich erstaunlich, dass nicht noch viel mehr Menschen hier unterwegs sind. Peter schlägt jetzt ein zügiges Tempo an und wir stapfen immer noch weitgehend durch Schnee dem 70-jährigen Bergführer hinterher, für den diese Tour mittlerweile zum Alltag geworden ist. Schätzungsweise weit über 1.000 mal ist er schon hier oben gewesen...

Wir erreichen den Gipfelgrat, auf dem der Weg jetzt wesentlich chmaler verläuft und das Gelände zunehmend zu beiden Seiten abfällt. Bei den heutigen Verhältnissen aber alles kein Problem, die Spur ist gut, die Sicht sowieso und Peter führt uns sicher am Seil hinauf. Einige Seilschaften kommen uns jetzt entgegen und wir weichen immer wieder aus der Spur aus, um andere vorbei zu lassen. Wir haben jetzt auch langsam die ersten Tiefblicke, hinter dem Gipfel des Großvenediger fällt das Gelände steil ab. Das Kreuz rückt Stück für Stück näher, wir müssen noch eine kurze Senke durchschreiten und stehen dann auf einem kleinen Plateau unterhalb des Kreuzes, auf dem sich bereits einige andere Bergsteiger zum Sonnenbad niedergelassen haben - Berg heil!



Ich habe mittlerweile schon auf einigen Gipfeln gestanden, aber das was uns heute hier geboten wird, ist schon etwas sehr besonderes. Bei idealen Bedingungen stehen wir auf dem 3.666m hohen Großvenediger, die Aussicht ist überragend. Hier wird heute auch ein kleines Stück meiner Familiengeschichte fortgeschrieben, auch mein Vater stand schon in den 60er Jahren auf diesem Gipfel - übrigens ebenfalls mit dem damaligen Hüttenwirt des Defreggerhauses. Ich genieße diese Momente in vollen Zügen und wir nehmen uns ausreichend Zeit für die Gipfelrast.


Man könnte den ganzen Tag hier oben sitzen, die weite Aussicht genießen, die heute den Blick auf unzähligen Gipfel der Ostalpen ermöglicht und diesen Gipfelerfolg genießen. Aber irgendwann ist es dann Zeit, wieder gen Tal aufzubrechen bzw. besser gesagt gen Hohes Aderl. Dieser Gipfel fehlt uns noch und soll gleich die Venedigerkrone vollenden. So begeben wir uns wieder auf den Abstieg über den Normalweg, steigen über den Gipfelgrat und halten uns dann bald rechts, um das Hohe Aderl (3.506m) noch mit unter die Eisen zu nehmen.


Das Hohe Aderl liegt etwas abseits des Weges und ist letztlich nur eine kleine, felsige Kuppe, die aus dem Gletscher aufragt. Auch hier gibt es kein Kreuz, lediglich zwei zusammengebundene Holzlatten markieren den höchsten Punkt. Wir rasten nochmal kurz, genießen noch ein letztes Mal den Blick auf den Großvenediger und das gegenüber liegende Rainerhorn und machen uns dann endgültig auf den Weg zurück zum Defreggerhaus.


Wenn man ein Haar in der Suppe finden möchte dann höchsten die Tatsache, das wir heute aufgrund der hohen Schneeauflage keine wirklichen Gletscherspalten zu Gesicht bekamen. Auf vielen Bildern habe ich die oft spaltenreichen Gletscher am Venedigermassiv bewundert. Peter meint, dass aufgrund des langen Winters immer noch recht viel Schnee liegt, spätestens im August und dann vor allem im September werden auch dieses Jahr wieder die Spalten sichtbar werden. Auf dem Weg ins Tal zeigt er uns einige Stellen, an denen man bereits tiefer liegende Spalten erkennen kann. So steigen wir jetzt wieder im zügigen Tempo dem Defreggerhaus entgegen und verlassen am Anseilplatz den Gletscher.


Wir erreichen wieder "festen" Boden und laufen jetzt gemütlich die letzten 20 Minuten über Felsen und Geröll zurück zur Hütte. Es ziehen vereinzelt Wolken auf , das Wetter ist aber nach wie vor herrlich. Wir freuen uns auf ein Mittagessen und einen gemütlichen Nachmittag hier am Defreggerhaus. Ein letztes Foto mit unserer Seilschaft vor der Hütte und dann setzt sich Peter noch mit uns zum Mittagessen hin. Für ihn heißt es gleich einen kurzen Mittagsschlaf halten und dann will das Abendessen vorbereitet werden. Beeindruckender und anstrengender Alltag für den Hüttenwirt und Bergführer.
Bei Suppe und Weizen bloicken wir zurück auf einen perfekten Tag, der uns sicher noch lange in Erinnerung bleiben wird!


Kommentar schreiben
Berg.buddys (Freitag, 04 Februar 2022 17:44)
Liest sich echt klasse und bringt Gedanken zum nachgehen ��